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Wie Altersbilder unser Verhalten prägen

Die demografische Entwicklung zeigt sich unter anderem auch bei einem Blick ins Wartezimmer – der Großteil der Wartenden ist 50+. Das fordert oft gerade junge Mediziner und aktuelle Alter(n)sbilder machen die Herausforderung nicht immer leichter.

Dr. Vera Gallistl, Kompetenzzentrum Gerontologie und Gesundheitsforschung der Karl Landsteiner Privat­universität für Gesundheitswissenschaften in Krems

„Altersbilder“ sind die Vorstellungen und Erwartungen, die wir als Gesellschaft mit dem Thema „Alter(n)“ verbinden. Sie haben einen wesentlichen Einfluss darauf, was junge Menschen für ihr eigenes Alter erwarten und wie ältere Menschen gesehen werden und sich selbst sehen. „Eine positive Sicht auf ein langes Leben, Anerkennung und Wertschätzung für den Erfahrungsschatz und die Potenziale älterer Menschen sind gut für deren Gesundheit. Negative, pessimistische Bilder verschlechtern die Teilhabemöglichkeiten von älteren Menschen, stören den Dialog zwischen den Generationen und führen zu Altersdiskriminierung“, beschreibt Dr. Klaus Ropin, Leiter des Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) die Problematik. Ein positives Bild vom Älterwerden zu haben, heißt der Vielfalt und Vielschichtigkeit dieses Prozesses mit einer Vielfalt der Bilder gerecht zu werden. Es gehe nicht darum, mögliche Risiken des Älterwerdens zu verleugnen. Es gehe vielmehr darum, durch positive Kommunikation ein neues Bild des Alter(n)s zu vermitteln, so Ropin weiter.

Demenz in der Kunst

Anhand der Wandlung des Bildes von King Lear in Theater und Film – von Shakespeares altem, weisem Mann zum Diktator mit Demenz in aktuellen Interpretationen – zeigt Assoz.-Prof. Dr. Ulla Kriebernegg, Leiterin des Zentrums für interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung der Universität Graz, den Wandel des Altersbildes in der Gesellschaft auf. Lear wird in Theaterproduktionen zunehmend als „seniler Grantscherm“, der arrogant, herrschsüchtig und launenhaft ist, dargestellt. Der „senile Alte“ wird in neuen Inszenierungen zur Last und das Publikum zeigt eher Empathie mit den Töchtern, die den alten, anstrengenden Vater versorgen müssen, als mit dem alten Mann selbst.
„Es finden sich zunehmend Interpretationen, die Lears ‚Wahnsinn‘ nicht mehr als Ausdruck von Verzweiflung im Kontext der verstörenden Selbsterkenntnis, sondern als Demenz diagnostizieren. Natürlich kannte Shakespeare die Diagnose ‚Demenz‘ noch nicht und Lear wird ja bekanntermaßen verrückt, weil er von seinen Töchtern so enttäuscht wird, dass ihm das Herz bricht. In vielen modernen Interpretationen liegt es aber nicht mehr an den Umständen, dass Lear ist, wer er ist, sondern an ‚seiner Krankheit‘“, beschreibt Kriebernegg. Die Diagnose „Demenz“ verändere die Botschaft des Stückes – und unsere Vorstellungen vom Alter(n).

Dass Lear nun Demenz diagnostiziert wird, ist nicht als moderne und medizinisch auf den neuesten Stand gebrachte Interpretation seines Wahnsinns zu sehen. „Vielmehr ist die Diagnose Ausdruck unserer schlimmsten Befürchtungen in Zeiten des ‚Pflegenotstandes‘: Demenz gilt in den letzten Jahren als das am stärksten mit dem Altern in Verbindung gebrachte Schreckgespenst und symbolisiert auch den Schrecken des Kontrollverlusts, der oft fälschlicherweise als normaler Teil des Alterungsprozesses angenommen wird. Die Darstellung der Würdelosigkeit und der Infantilisierung des Alterns, die in diversen Inszenierungen normalisiert wird, entfaltet eine starke Wirkung und trägt zu Ageism, also Altersdiskriminierung, bei; schlussendlich prägen Literatur und Film unsere Wahrnehmungen entscheidend mit“, sagt die Wissenschaftlerin.

Die Macht von Alter(n)sbildern

Wer alt ist, wer jung ist, wie wir als Gesellschaft und individuell das Älterwerden bewerten, ob wir damit Abbau und Krankheit oder das Entdecken von neuen Rollen und Zielen im Leben verbinden, ist nicht fixiert, sondern sowohl individuell als auch kollektiv wandel- und gestaltbar. „Alter(n)sbilder wirken auf unsere Verhaltensweisen im Umgang mit älteren Menschen prägend. Aber nicht nur das: Sie prägen auch die Selbstwahrnehmung der älteren Menschen. Und leider zeigt die wissenschaftliche Forschung eine gewisse Persistenz von negativen und defizitorientierten Alter(n)sbildern in unterschiedlichen Medien auf“, erläuterte Dr. Vera Gallistl vom Kompetenzzentrum Gerontologie und Gesundheitsforschung der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften in Krems.
Ein Problem mit den Altersbildern ist die homogenisierende Darstellung des Alters wie etwa „Alle alten Menschen leben in Pflegeeinrichtungen“. Daher wird oft das Bild der alten, faltigen Hände verwendet, wenn „Alter“ in Medien illustriert werden soll. Wird aber die Heterogenität des Alters mitbedacht, kann dies gegen die Zeichnung eines defizitären Alter(n)s­­bildes helfen. „Eine differenzierte Bild- und Textsprache hilft gegen homogenisierende Alter(n)sbilder“, betont Gallistl.

Neben der Darstellung von Heterogenität von unterschiedlichen Altersphasen geht es darum, zu sehen, dass das Älterwerden nicht nur mit Abbau und Einschränkungen einhergeht. Das Alter ist heute nicht mehr der Abschluss des Lebens, sondern eine eigenständige Lebensphase von etwa zehn bis 20 Jahren nach dem Erwerbsleben, in der neue Rollen und Ziele entdeckt und umgesetzt werden können. Von den im Durchschnitt 79 bzw. 84 Jahren, die Männer bzw. Frauen in Österreich leben, werden bei Frauen im Schnitt nur die letzten fünf Jahre, bei Männern die letzten vier Jahre bei schlechter Gesundheit verbracht. Davor ist das Alter eine Phase, in der neue Ziele und Rollen entdeckt werden können.

Lassen Sie Menschen nicht verschwinden!

Anhand des im Auftrag des Dialogs gesund & aktiv und altern verfassten Leitfadens „Neue Bilder des
Alter(n)s“ brachte Kommunikationsexpertin Mag. Yvonne Giedenbacher praxisbezogene Anregungen und Beispiele für eine wertschätzende Kommunikationsarbeit, die dazu beitragen kann, das Bild des Alter(n)s in den Medien und somit in unseren Köpfen in all seiner Vielfalt darzustellen. „Das Altern des Individuums wird gern mit Abbau und Verlust assoziiert. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene werden Belastungen des Gesundheits- und Pflegesystems oder der Pensionsversicherung betont. Viele Bilder und Texte folgen diesen beiden Mustern und verstärken sie. Die Personengruppe der alten Menschen ist aber eine enorm heterogene Gruppe, die ständig im Wandel ist.“  Strategien gegen negative Alter(n)sbilder sind einfach: Machen Sie Menschen nicht unsichtbar! Dazu gehört es, stereotype Darstellungen sowie Vereinnahmungen oder Verniedlichungen zu vermeiden.

Giedenbacher appelliert, alte Menschen nicht hinter einzelnen Merkmalen wie Bildern einer alten faltigen Hand oder der Zuschreibung „Pflegefall“ „verschwinden“ zu lassen. Was für Bilder gilt, kann auch auf Aushänge und Schilder in der Ordination, Magazine im Wartezimmer oder auch das gesprochene Wort umgelegt werden. Gerade im Zusammenhang mit Themen wie Pensionen, Pflege oder Bevölkerungsentwicklung werden oft apokalyptische Szenarien gezeichnet. Da ist schnell von „Überalterung“ oder gar von „kippenden Alterspyramiden“ die Rede.

Nicht alle älteren Menschen sind weise, warmherzig und großmütterlich bzw. großväterlich; aber ebenso wenig einsam, isoliert und krank. Um negative Alter(n)sbilder zu vermeiden, verzichten Sie auf Klischees und Vorurteile, die ältere Menschen kränken könnten. Es gilt, ein realistisches, vielfältiges Bild zu zeichnen. Der respektvolle Umgang auf Augenhöhe ist ein wichtiger Teil davon! rh

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Dr. Vera Gallistl© Luiza Puiu