Die rechtliche Ausgangslage lässt auf den ersten Blick kaum Fragen offen: Gemäß Ärztegesetz (ÄrzteG) § 94 Abs. 1 sind Kammerangehörige dazu verpflichtet, bei Streitigkeiten, die untrennbar mit der Ausübung des ärztlichen Berufs verbunden sind, sich vor dem Einbringen einer zivilrechtlichen Klage zuerst an einen Schlichtungsausschuss der Ärztekammer zu wenden. Dass es in der Praxis gar nicht so einfach ist, diese Regelung auszulegen, zeigt ein Beispiel aus der Steiermark: Ein Arzt vereinbarte 2019 mit einer Ärztin, die wie er Kammermitglied ist, dass diese bis zum 1. Jänner 2022 seine Praxis übernimmt und bis dahin den Kaufpreis von 247.483,– Euro begleicht. Die Ärztin hat die Ordination zwar übernommen, die vereinbarte Ablöse jedoch nicht gezahlt. Sie bestreitet, dass ein Kaufvertrag vorliegt. Daraufhin brachte der Arzt eine zivilrechtliche Klage ein, um sich erst danach an den Schlichtungsausschuss der Ärztekammer zu wenden.
In der ersten Instanz wies das zuständige Gericht, die Klage jedenfalls ab. Die Begründung: Der Arzt habe das vorgeschriebene Schlichtungsverfahren nicht eingehalten. Auch das Berufungsgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Der betreffende Fall werde von § 94 Abs 1 abgedeckt, so die Begründung. Mit anderen Worten: Auch der Rechtsstreit um die Übergabe einer Ordination ist als Streitigkeit zwischen Ärzten bei der Ausübung des ärztlichen Berufs zu werten. Daraufhin brachte der klagende Arzt Rekurs ein.
OGH gab Rekurs statt
Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied (OGH 9 Ob 28/23t), dem Rekurs stattzugeben. Er erinnerte daran, dass der Zweck der Schlichtungsstelle sei, Streitigkeiten intern zu schlichten und zu verhindern, dass ein schlechtes Bild des Berufstandes in der Öffentlichkeit entsteht. Nicht beantwortet hat der OGH jedoch, ob im betreffenden Fall ein Schlichtungsverfahren im Sinne von § 94 Abs 1 anzustreben ist. Sehr wohl erklärte er jedoch, dass die Regelung nicht jede Verhaltensweise eines Arztes, die im Zusammenhang mit der Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit steht, von der obligatorischen Schlichtung umfasst ist.
Vielmehr wies der OGH auf eine weitere Regelung des ÄrzteG hin. Gemäß § 2 Abs 2 umfasst die Ausübung des ärztlichen Berufs jede auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder für den Menschen ausgeführt wird. Daher sei auch nicht jede Verhaltensweise, die mit dem Beruf des Arztes zusammenhängt, von der vorgeschriebenen Schlichtung betroffen. Dazu zähle auch die Frage, ob ein Kaufvertrag abgeschlossen wurde. Schließlich handele es sich beim betreffenden Fall um eine Zivilrechtsstreitigkeit, die auch in anderen Branchen vorkommt und daher das Ansehen von Ärzten in der Öffentlichkeit nicht beeinträchtigen sollte. Was können Ärzte aus dem betreffenden Fall mitnehmen? Im Zweifel zahlt es sich aus, sich an einen Juristen mit einschlägiger fachlicher Expertise zu wenden.
pb