Wie beurteilen Sie den diesjährigen Medizinnobelpreis? Was ist das Besondere daran?
Die Forschung an der mRNA-Technologie war, vor allem im Bereich der Krebsvakzine und im Impfstoffsektor, schon lange bekannt. Sicher 20 Jahre lang wurde bereits an diesem Thema geforscht, wenn auch mit vielen Rückschlägen. Das Besondere ist neben den Erkenntnissen, dass die Ergebnisse rechtzeitig zur Corona-Pandemie kamen, als sie am notwendigsten gebraucht wurden. Ich finde es großartig, dass eine Frau, Katalin Karikó, das geschafft hat. Die Auswirkungen auf die Corona-Pandemie zeigen, wie richtungsweisend ihre Idee und die Technologie waren. Karikó ist eine Vorkämpferin, die damit viele Türen geöffnet hat.
Karikós Forschungsweg war von vielen Rückschlägen geprägt. Wie geht man als Forschender damit um, wenn man von einer Idee überzeugt ist, aber keinen Rückhalt findet?
Forschung passiert stets als Abfolge von Erfolgen und Misserfolgen – es gibt so gut wie nie einen geraden Weg zum Ziel. Ohne Misserfolge gibt es keine erfolgreiche Forschung, das wäre unrealistisch. Rückschläge bergen aber auch immer neue Chancen: Sie sorgen für neue Erkenntnisse und ein Zurechtrücken oder Korrigieren der Forschungshypothese, die sich im Laufe der Forschungsarbeit ergeben. Forschende lernen auf ihrem Weg ununterbrochen, und zwar sowohl dann, wenn etwas funktioniert, als auch, wenn etwas nicht funktioniert. Misserfolge erweitern den Horizont und sind Teil des Forschungsalltags, sie bilden genauso wie Erfolge den Motor für Forschende, zu verstehen, wie die Dinge funktionieren.
Welche Hauptmotivation leitet also Forschende?
Das Grundprinzip jeder Forschungstätigkeit müssen das Interesse und die Neugier an Mechanismen und Abläufen sein. Damit ist immer ein „Zick-Zack-Weg“ verbunden.
Karikó arbeitet seit mehr als 40 Jahren auf dem Gebiet der mRNA. Wie viel Hartnäckigkeit braucht man als Forschender? Welche Probleme ergeben sich aus „erfolgloser“ Forschung?
Für Katalin Karikó waren diese Rückschläge besonders schwierig, weil es mit Misserfolgen auch schwieriger wird, Fördermittel zu akquirieren. Forschung unterliegt Wellen von Hypes, sodass Themen in den Fokus rücken oder weniger von Interesse sind – und danach richten sich oft auch die Förderungen. Es ist oft sehr schwer, Gelder für Forschung zu bekommen, die gerade nicht gehypt wird. Dann braucht es viel Hartnäckigkeit und Ausdauer. Viele Forschende haben daher nicht nur ein Thema, sondern mehrere, an denen sie forschen. So ist es leichter, mit Rückschlägen und Finanzierungslücken umzugehen.
Karikó wurde unterstellt, regelrecht besessen von ihrer Idee gewesen zu sein, aber dieses Bild stimmt nicht. Sie hat an ihre Idee geglaubt und war nicht nur interessiert, sondern überzeugt davon. Genau diese Überzeugung und Hartnäckigkeit sind sehr wichtig, wenn man an Impfstoffen arbeitet. Wir arbeiten seit mehr als 20 Jahren an der Entwicklung einer Krebsvakzine. Von der Idee und der Entwicklung eines Konzeptes über Präklinik und Klinik bis zum fertigen Vakzin ist es ein langer Weg, für den finanzkräftige Partner benötigt werden, besonders wenn es zur klinischen Testung kommt. Wir haben im Jahr 2000 ein Forschungsprojekt zu einer Brustkrebsvakzine begonnen und nach vielen Rückschlägen konnte nun die klinische Phase 2 abgeschlossen werden. Über diese langen Zeiträume gilt es, die Idee, die Überzeugung nicht aufzugeben und immer neue Wege der Umsetzung zu suchen.
Was kann unternommen werden, um das Interesse für die Wissenschaft zu wecken?
Prinzipiell ist das Interesse für Forschung in der Allgemeinbevölkerung sehr gering und wird auch schlecht kommuniziert. Die Reaktionen auf bzw. gegen die Entwicklung von Corona-Impfstoffen zeigen, wie rudimentär das Verständnis dafür ist. Es ist auch ein Resultat einer verfehlten Kommunikation während der Pandemie, dass sich die Einstellung zu Wissenschaft weiter negativ entwickelt hat, obwohl eigentlich jeder erkennen hätte müssen, wie entscheidend die Covid-Impfung war, um diese Erkrankung weltweit in den Griff zu kriegen. Umso wichtiger ist der Nobelpreis, der zeigt, wie Errungenschaften entstehen, dass Forschung Jahrzehnte benötigt und Erfolge besser „vermarktet“ werden müssen. Hier ist die Wissenschaft gefordert, hier ist das Wissenschafts- und Bildungsministerium gefordert, aber auch die Medien haben eine große Verantwortung. Forschende kommunizieren oft nicht verständlich für die Allgemeinheit. Es müssen neue Kommunikationswege und interaktive Schulungswege – Stichwort „Science Communication“ – aufgebaut werden, die die faszinierende Welt der Wissenschaft der Allgemeinbevölkerung näherbringen.
Welche Potenziale hat die Forschung der beiden Preisträger für die Zukunft?
Seitens der Influenza-Impfstoffe wird jedenfalls in diese Richtung weitergeforscht, wie auch bei anderen Infektionserkrankungen. Auch im Bereich der Krebsimpfstoffe gibt es nun vermehrt neue Ansätze. Das Konzept wird aber nicht für alle Erkrankungen funktionieren. Bei Autoimmunerkrankungen, zum Beispiel, ist der Organismus/das Immunsystem fehlgeleitet, gegen eigenes Gewebe auf Hochtouren zu reagieren. Hier könnte das Impfkonzept mit mRNA-Vakzinen kontraproduktiv sein. Aber grundsätzlich sind mRNA-Impfstoffe sehr potent und sorgen für eine starke immunologische Anregung, wodurch sie speziell dann hilfreich sind, wenn das Immunsystem geschwächt ist und neuen Antrieb braucht.
Karikó ist erst die 13. weibliche Medizinnobelpreisträgerin, 225 gab es bisher insgesamt. Was bedeutet dieser Nobelpreis für forschende Frauen?
Katalin Karikó ist ein Role Model, auch und speziell für Nachwuchsforscherinnen. Oft stellt sich gerade beim weiblichen Nachwuchs die Frage, ob eine Forscherkarriere vereinbar mit einem Familienleben ist. Viele Medizinstudentinnen beginnen einen vielversprechenden Weg, ein Karriereknick entsteht aber oft im Alter der Familienplanung und viele trauen sich dann nicht zu oder finden nicht die nötigen Rahmenbedingungen vor, beides zu vereinen. Dieser Nobelpreis kann gerade Frauen helfen, Mut zu fassen, an Ideen und Überzeugungen dranzubleiben. Der Nobelpreis macht deutlich, wie wichtig Forschung für unser Leben ist. Dass es ihn gibt, ist immens wichtig, weil über Forschung positiv und wertschätzend berichtet wird. Wir können alle dankbar sein, dass es diese Auszeichnung für herausragende Forschende gibt. bw
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt ist Österreichs einzige Professorin für Vakzinologie. Sie leitet das Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie und das Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien und hat die ärztliche Leitung der Spezialambulanz für Impfungen, Reise- und Tropenmedizin der MedUni Wien inne. Wiedermann-Schmidt ist Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie und seit 2005 Mitglied des Nationalen Impfgremiums des Gesundheitsministerium. Seit 2011 ist sie auch Mitglied des Obersten Sanitätsrates und seit 2020 Mitglied der Ständigen Impfkommission des Robert Koch Instituts in Deutschland.
Katalin Karikó und Drew Weissman
Katalin Karikó wurde 1955 in Ungarn geboren. Sie promovierte 1982 an der Universität von Szeged und forschte bis 1985 als Postdoktorandin an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Szeged. Anschließend arbeitete sie als Postdoktorandin an der Temple University in Philadelphia und an der University of Health Science in Bethesda. Im Jahr 1989 wurde sie zur Assistenzprofessorin an der University of Pennsylvania ernannt, wo sie bis 2013 blieb. Danach wurde sie Vizepräsidentin und später Senior-Vizepräsidentin bei BioNTech RNA Pharmaceuticals. Seit 2021 ist sie Professorin an der Universität Szeged und außerordentliche Professorin an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania.
Drew Weissman wurde 1959 in Lexington, Massachusetts, USA, geboren. Er promovierte 1987 an der Boston University. Er absolvierte seine klinische Ausbildung am Beth Israel Deaconess Medical Center an der Harvard Medical School und forschte als Postdoktorand an den National Institutes of Health. Im Jahr 1997 gründete Weissman seine Forschungsgruppe an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania. Er ist Professor für Impfstoffforschung und Direktor des Penn Institute for RNA Innovations.
















