Katharina Meller, Physiotherapeutin mit Arbeitsschwerpunkt Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie und Proktologie, und Dr. Verena Eckmayr, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, arbeiten gemeinsam an Lösungen, um ihren Patienten die bestmöglichen Therapien bieten zu können.
Kennengelernt haben sich die beiden bei dem Projekt dock wie „andocken“, einer Praxis für nichtversicherte Menschen und einem Projekt von neunerhaus und der Vinzenz Gruppe in Wien. Es bietet Menschen Unterstützung, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Durch die steigende Nachfrage und die limitierten Ressourcen sucht das Team auch immer wieder nach Lösungsansätzen, wie beispielsweise Behandlungspläne erstellt werden können. Im Vordergrund steht die Miteinbeziehung aller am Behandlungserfolg Beteiligten. Gemeinsame Fallbesprechungen mit Orthopädie, Therapie, Betroffenen und bei Bedarf Betreuungspersonen im dock führen zu einem engmaschigen und vernetzten Arbeiten.
Gegen Lücken im System
Über 100.000 Menschen sind in Österreich nicht krankenversichert. In einer Studie erhob die Österreichische Sozialversicherung im Jahr 2018 die Situation Nichtversicherter in Österreich sowie die Gründe dafür. Bei österreichischen Staatsbürgern hängt die Nichtversicherung in der Regel mit fehlenden persönlichen Ressourcen, mangelnder Information und zum Teil auch gewissen „Lücken im System“ zusammen. Etwa dann, wenn ein Auslandsösterreicher nach längerer Zeit wieder nach Österreich zurückkehrt. Oder wenn darauf gewartet wird, dass eine Leistung, wie etwa die Mindestsicherung, zuerkannt wird.
Werden Menschen ohne Versicherung krank, benötigen sie trotzdem ärztliche Hilfe. Das gilt auch bei einer Schwangerschaft. Dafür gibt es einige soziale Einrichtungen, die den Betroffenen Zugang zu medizinischer Versorgung anbieten. Das Angebot ist aber klein und die Nachfrage sehr groß, besonders in Wien, wo die Bevölkerung seit Jahren stark wächst. Diese Lücke versucht das Projekt dock zu schließen. neunerhaus wurde 1999 gegründet und ist eine Sozialorganisation in Wien. Es ermöglicht obdachlosen, wohnungslosen und nichtversicherten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben mit medizinischer Versorgung, Wohnen und Beratung. dock hat eine Ordination mit Behandlungsräumen im CAPE 10 gemietet, einem Gebäude im Sonnwendviertel beim Wiener Hauptbahnhof. Unter einem Dach sind im CAPE 10 verschiedene Sozial- und Gesundheitsangebote vereint, wie etwa die Primärversorgungseinheit Sonnwendviertel und Obdach Ester, ein Tageszentrum für wohnungslose Frauen.
„Als ich zum ersten Mal vom Projekt dock gehört habe, war ich begeistert. Mir ist es wichtig, dass Menschen, die nicht versichert sind, die gleiche Aufmerksamkeit und Qualität an medizinischer Betreuung wie Versicherte bekommen. Seit November 2021 stehe ich gemeinsam mit der Fachärztin für Gynäkologie einen Nachmittag im Monat zur Verfügung“, schildert Katharina Meller und ergänzt: „Vorerst dachte ich als Physiotherapeutin mit Spezialisierung für den Beckenboden an die Betreuung von Patienten mit gynäkologischen, urologischen oder proktologischen Beschwerden. Da das Projekt wächst und der Bedarf an qualifizierter Therapie steigt, können sich auch weitere Physiotherapeuten einbringen.“
Team aus vielen Fachgebieten
Ein Expertenteam von mehr als 25 Ärzten, Pflegekräften und Therapeuten hat sich bereit erklärt, bei dock in ihrer Freizeit regelmäßig ehrenamtlich mitzuarbeiten. Dadurch besteht bereits seit November 2021 dienstags und donnerstags jeweils am Nachmittag ein weitreichendes medizinisches Angebot zur Abklärung und Behandlung zur Verfügung.
Aber auch über die Arbeit im neunerhaus hinaus arbeiten die Physiotherapeutin Meller und die Ärztin Eckmayr immer wieder engmaschig zum Wohle der Patienten zusammen. „Beckenbodendysfunktionen haben eine multifaktorielle Ätiologie und viele Risikofaktoren sind bekannt. Im multiprofessionellen Setting wird eine breite Palette an Behandlungsmöglichkeiten für auftretende Kontinenzstörungen von Blase und Darm, Senkungen oder Schmerzen bis hin zu Obstipation, inkompletter Entleerung und sexuellen Funktionsstörungen angeboten, die von konservativen Ansätzen bis hin zu chirurgischen Eingriffen reicht. Es sind daher Strategien gefragt, wie die Ressourcen des multiprofessionellen Teams optimal zum Wohle der Patienten abgestimmt werden können“, so Meller.
Casemanagement im Fokus
Meller und Eckmayr gelingt dies sehr gut. Beide berichten, dass die Zusammenarbeit äußerst bereichernd ist. „Die ärztliche Ausbildung ist gerade in der Gynäkologie sehr breit. Oft ist Ärzten gar nicht bewusst, welche Möglichkeiten es im Bereich der Physiotherapie gibt. Der Körper verfügt über eine große Regenerationsbereitschaft“, sagt Eckmayr. Mit dieser offenen Sichtweise und dem regelmäßigen Austausch betreuen die beiden gemeinsam Patienten und vertiefen dadurch auch ihr Wissen über die eigenen Berufskompetenzen hinaus. „Es gibt viele Kolleginnen mit guter, tiefgreifender und profunder Erfahrung zum Thema Beckenboden. Es freut mich, dass aus den Anforderungen, noch mehr vertieftes Wissen zu entwickeln und weiterzugeben, auch die ersten Spezialisierungen im Bereich entstanden sind, um physiotherapeutische Kompetenzen auch nach außen darzustellen“, ergänzt Meller.
Beide beschreiben, wie wertvoll es ist, die eigenen Annahmen zu einer Pathologie mit dem Gegenüber, mit einem anderen beruflichen Hintergrund, zu reflektieren. Wichtig ist auch, die Möglichkeit zu haben, die Patienten an ein kompetentes Gegenüber zur Abklärung weiterverweisen zu können. Dies kann von der Physiotherapeutin an die Ärztin erfolgen, aber auch von der Ärztin an die Physiotherapeutin. „Katharina kann im Ultraschall die Kontraktionen der Muskulatur sichtbar machen und erhält dadurch ein Echtzeit-Feedback der Beckenbodenmuskulatur. Das habe ich in meiner Ausbildung zum Beispiel nicht gelernt“, berichtet Eckmayr. Im Sinne eines Casemanagements besprechen die beiden auch regelmäßig, welche Maßnahmen in einem konkreten Fall Priorität haben und wie der weitere Therapieverlauf zu planen ist. „Gerade dieses gemeinsame Auftreten den Patienten gegenüber führt zu einer Compliance, welche gerade bei multimodalen Beschwerden essenziell ist“, schildert Eckmayr.
Die Wichtigkeit und der Nutzen interdisziplinärer Zusammenarbeit im Bereich der Gesundheitsberufe wurden in der Vergangenheit bereits häufig untersucht. Positive Folgen wie verbesserte Kommunikation, effizienter und ökonomisierter Einsatz der Ressourcen und demzufolge auch volkswirtschaftliche Nutzen sind dabei herausgearbeitet worden. So bleibt zu hoffen, dass diese vernetzte und interdisziplinäre Arbeitsweise immer mehr Anklang findet und auch in Zukunft häufiger gelebt wird. Eine gelebte interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Wohle der Patienten, zur Ökonomisierung der Ressourcen, aber auch zur Verbesserung der Patientensicherheit. rh

















