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Dr. Straub: Arzthaftung nach Zuweisung

Die Zuweisung von Patienten an Berufskollegen ist Alltag für Ärzte. Kommt bei einer solchen Zuweisung ein Patient zu Schaden, stellt sich die Frage, wer dafür haftet.

Die Zuweisung von Patienten an Berufskollegen ist Alltag für Ärzte. Die Gründe dafür liegen meist an der Spezialisierung, die Mediziner zwingen, einen Berufskollegen heranzuziehen, weil sie selbst nur jene Leistungen anbieten und erbringen dürfen, für die sie ausgebildet wurden. Kommt bei einer solchen Zuweisung ein Patient zu Schaden, stellt sich die Frage, wer dafür haftet.

AUTOR: Dr. Michael Straub, LL.M.
Rechtsanwalt im Gesundheitswesen mit Schwerpunkt Medizin-, Krankenanstalten- und Gesellschaftsrecht, ENLAWMENT am Stadtpark, straub(at)enlawment.at

Die – stark vereinfachte – Antwort auf diese Frage lautet, wie so oft: „Es kommt darauf an.“ Selbst Österreichs Höchstgericht in Zivil- und Strafrechtssachen, der Oberste Gerichtshof (OGH), gibt hierzu unterschiedliche Antworten, wenngleich die zugrunde liegenden Sachverhalte tatsächlich unterschiedlich waren.

In einem älteren Fall (7 Ob 136/06k vom 11.10.2006) kam der OGH zu dem Ergebnis, dass ein überweisender Arzt grundsätzlich nicht für die alleinigen Fehler eines anderen hinzugezogenen Arztes haftet. In einem jüngeren Fall (1 Ob 159/21w vom 12.10.2021) sprach der OGH hingegen aus, dass auch zwei Ärzte für den Schaden an ein und derselben Patientin haften können, wenn sie beide Fehler, in dem Fall in der Aufklärung, gemacht haben.

Worin nun der Hintergrund besteht, weshalb die höchstgerichtliche Entscheidung in dem einen Fall so und in dem anderen Fall anders ausging, soll der folgende Beitrag näher erläutern.

Fall 1  (7 Ob 136/06k vom 11. 10. 2006 aus den publizierten Entscheidungen des OGH)

Ein Dermatologe entnahm in seiner Praxis eine Gewebeprobe von einer Patientin und sandte diese an das Labor eines Pathologen. Der Befund des Pathologen lautete auf eine gutartige Hautveränderung. Diese Diagnose stellte sich allerdings später als falsch heraus. Bei zwei weiteren Untersuchungen desselben Pathologen Jahre später gab dieser neuerlich falsche Diagnosen ab. Infolgedessen kam es zu einer verspäteten Behandlung bei der Patientin. Bei richtigen Laborbefunden wäre der Krankheitsverlauf allerdings wesentlich günstiger gewesen. Die Patientin begehrte daher vom Dermatologen Schmerzensgeld.

Das Erstgericht gab der Patientin mit der Begründung Recht, dass der Dermatologe für den im Rahmen der Erfüllung des Behandlungsvertrages ausgewählten Laborarzt als seinem Erfüllungsgehilfen zu haften habe. Das Berufungsgericht bestätigte sogar diese Entscheidung. Der OGH jedoch korrigierte die Entscheidungen der Unterinstanzen und gab dem Dermatologen Recht und wies das Klagebegehren der Patientin ab. Die Begründung des OGH: Durch die Überweisung bzw. Probenübermittlung an einen anderen selbstständig tätigen Facharzt kam ein eigener Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patientin zustande. Der überweisende Arzt handelte nur als Stellvertreter des hinzugezogenen Arztes. Ein Auswahlverschulden des überweisenden Arztes sei im vorliegenden Fall nicht anzunehmen gewesen. Der fehlerhaft handelnde Pathologe sei somit nicht Erfüllungsgehilfe des Dermatologen gewesen. Daher komme auch nur eine Haftung des Pathologen und nicht auch des Dermatologen infrage. Dem Dermatologen sei kein eigener Behandlungsfehler anzulasten gewesen. Daher war das Klagebegehren der Patientin abzuweisen.

Fall 2  (1 Ob 159/21w vom 12. 10. 2021 aus den publizierten Entscheidungen des OGH)

Im zweiten Fall hatte eine Patientin bei sich einen Knoten in ihrer Brust entdeckt und wandte sich an einen niedergelassenen Gynäkologen. Dieser überwies sie an das Röntgeninstitut eines Radiologen. Dort wurde entsprechend der Überweisung des Gynäkologen eine Sonografie und danach eine Mammografie durchgeführt.

Im Zuge der Mammasonografie diagnostizierte der Radiologe, dass vermutlich ein gutartiges Fibroadenom vorliege, dass aber sinngemäß „alles gut aussehe“ und die Patientin „ihren Knoten in Zukunft“ beob­achten solle. Nach Durchführung der Mammografie ergab sich aber die Notwendigkeit einer weiteren Untersuchung, die auch im Befund empfohlen wurde. Der Gynäkologe erhielt und las auch den ihm vom Radiologen übermittelten Befund; beide Ärzte unterließen es aber, die Patientin über den Inhalt dieses Befunds zu informieren.

Die Patientin ging aufgrund der Äußerungen der Ärzte ihr gegenüber davon aus, dass nichts Bedenkliches gefunden wurde und sie bei einem entsprechenden Befund ohnehin von ihnen informiert worden wäre. Tatsächlich lag bei der Patientin aber bereits eine Krebserkrankung vor, von der sie aber erst Monate nach der Untersuchung erfuhr und aufgrund derer sie später auch verstarb.

Die (minderjährigen) Kinder der zwischenzeitlich verstorbenen Patientin klagten den Gynäkologen und den Radiologen auf Schmerzensgeld und bekamen Recht. Der Oberste Gerichtshof verwies dabei auf die eigene Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht eines Arztes. Die beklagten Ärzte wandten zuvor ein, dass, wenn überhaupt, der jeweils andere Arzt den Schaden zu verantworten habe. Sie schoben sich also gegenseitig die Schuld zu und strapazierten die Frage, wer zwischen ihnen beiden dafür „zuständig“ gewesen sei, der Patientin den Befund zukommen zu lassen. Beide Fachärzte gingen schließlich davon aus, dass sich die Patientin um ihr Befundergebnis selbst hätte kümmern müssen; dieses Versäumnis sei ihr als Mitverschulden anzulasten.

Das sah der OGH anders. Tatsächlich bestätigte der OGH die Rechtsansichten der Unterinstanzen, die zu diesem Fall folgende Rechtsansichten vertraten: Es gehört zu den Pflichten eines Arztes, seine Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinzuweisen. Diese Hinweispflicht trifft im konkreten Fall beide Beklagten, also sowohl den niedergelassenen Gynäkologen als auch den beigezogenen Radiologen: bezogen auf den Gynäkologen, weil dieser gemessen am Maßstab eines ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnitts(fach)arztes hätte klar erkennen müssen, dass bei seiner Patientin, die sich an ihn gewendet hatte, eine dringende Notwendigkeit der Durchführung weiterer Abklärungen vorlag, er sie aber dennoch nicht darüber aufklärte; und bezogen auf den Radiologen, weil dieser anlässlich seiner Untersuchung der Patientin durch seine Äußerungen (es sehe alles gut aus, „sie solle das in Zukunft beobachten“) suggeriert hatte, es bestehe aktuell kein weiterer Abklärungsbedarf. Dem gegenüber ergaben sich aber davon abweichende Erkenntnisse, wovon er sie aber auch nicht in Kenntnis setzte, obwohl er in jedem Fall dazu aufgerufen gewesen wäre, den durch seine „Erstdiagnose“ hervorgerufenen unrichtigen Eindruck zu korrigieren und seine ihr gegenüber abgegebene Empfehlung (des bloßen Beobachtens „in Zukunft“ als ausreichend) richtigzustellen.

Die „Passivität“ der beteiligten Ärzte in Bezug auf deren Aufklärungspflichten gegenüber ihrer Patientin wurde ihnen daher als Pflichtverletzung angelastet, für die sie nun beide einzustehen haben.

Haftung bei Zuweisung

Bei der Haftung von Ärzten bei einer Zuweisung kommt es sehr stark auf die Umstände des Einzelfalles an. Eine klare Abgrenzung, wann welcher Arzt für den Schaden an einem Patienten haftet und wann nicht, lässt sich anhand der vorbeschriebenen Fälle nicht vornehmen. Bei einer Zuweisung an einen anderen Arzt besteht dann ein kollektives Haftungspotenzial, wenn die Umstände, wie etwa ein Befund, der eine (weitere) ärztliche Maßnahme indiziert, eine Handlungsverpflichtung – zum Beispiel eine Aufklärungspflicht – eines jeden Beteiligten nahelegt. Auf die Richtigkeit eines Befundes eines hinzugezogenen Arztes hingegen sollte sich ein zuweisender Arzt schon verlassen können, weswegen ein Zuweiser auch nicht haftet, wenn ihm nicht auch eine Fehlleistung anzulasten ist.

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© istockphoto/sturti
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Dr. Michael Straub, LL.M.© ZVG