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„Pathologie muss für alle Patienten zugänglich sein“

Die Pathologie als Fach ist heute wie kaum eine andere Disziplin digital und profitiert zudem von den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz.

Die Technik soll möglichst allen Patienten für die Befundung zugänglich sein. Warum man davon aber noch weit entfernt ist und wo die großen Herausforderungen des Fachs liegen, erklärt Prim. Dr. Alexander Nader, MSc, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie, Institut für Pathologie und Mikrobiologie im Hanusch-Krankenhaus Wien.

?Im Rahmen der ÖGPath-Frühjahrstagung wurden Forschungsleistungen junger Pathologen prämiert. Woran wird aktuell in Ihrem Fach geforscht?
Die Pathologie geht immer mehr in Richtung des Gewinns neuer Erkenntnisse zu den Wirkungen von Tumor­therapien. Aktuell werden schon über 60 % aller Entscheidungen zu einer Chemotherapie in der Pathologie bestimmt, weil wir am Schnittpräparat sagen können, ob eine Therapie funktionieren wird oder nicht.

?Wo sehen Sie aktuell die großen Herausforderungen?
Während meiner ÖGPath-Präsidentschaft arbeite ich intensiv an einem dringend erforderlichen Imagewandel der Pathologie. Wir werden leider immer noch mit dem Seziersaal assoziiert, weil das in den Medien so dargestellt wird. Ich war im letzten Jahr 0,08 % meiner Zeit im Seziersaal und selbst meine jüngsten Kollegen haben es nicht einmal auf ein Prozent gebracht. Wir arbeiten die meiste  Zeit am lebenden Objekt, und mehr noch sogar am gesunden lebenden Objekt! So befunden wir knapp zwei Millionen Abstriche von gesunden Frauen in Österreich. Nur 1,6 % der Krebsabstriche weisen Auffälligkeiten auf. In der Mikrobiologie sind 10 bis 15 % der Proben – wie etwa das Wasser im Spital, die künstliche Niere oder explantierte Endoprothesen – auf Keimbelastungen zu untersuchen und haben gar keinen Konnex zu einem realen Patienten.

?Die Pathologie als Fach ist heute wie kaum eine andere Disziplin digital und profitiert von den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz. Wo stehen wir hier derzeit?
Im internationalen Vergleich hinken wir deutlich hinten nach. Erst vor wenigen Tagen ging der „Pannonia Congress of Pathology“ in Wien zu Ende, bei dem sich über 200 Pathologen aus Österreich, Kroatien, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und aus der Ukraine ausgetauscht haben. Länder wie Tschechien oder die Slowakei haben mittlerweile sehr effiziente digitale Strukturen. In Österreich ist es der Kleinteiligkeit geschuldet, dass wir nicht einmal zwischen den Spitälern innerhalb eines Bundeslandes die Daten digital austauschen können, von Bundesländergrenzen rede ich da noch gar nicht.

?Haben Sie Sorge, dass die KI den Pathologen ersetzt?
Nein, das hat mehrere Gründe. Wir haben noch einen sehr langen Weg, bis die Digitalisierung überhaupt in der Pathologie angekommen ist. Derzeit sind es vor allem niedergelassene Labore, die zu einem sehr hohen Prozentsatz moderne Medizintechnik einsetzen. Im öffentlichen Gesundheitswesen kenne ich kein einziges pathologisches Institut, das hier mithalten kann. Es gibt einzelne Projekte, wie etwa an der MedUni Wien das „BIGPICTURE“, in dem ein EU-Konsortium bis 2027 die größte europaweite Datenbank mit Pathologiebildern aufbauen will.
Niemand kann derzeit konkretisieren, was KI in der Pathologie bedeutet. Ich denke, dass uns die KI viele stupide Tätigkeiten abnehmen kann, wie etwa das Auszählen von tumorbestimmenden Antikörpern in einer Probe. Ich kann mir auch vorstellen, dass eine KI aus 70 Schnitten einer Brust-OP ein Vorscreening des tumorfreien Gewebes macht und dann einige Schnitte übrigbleiben, die der Pathologe dann „händisch“ nachbearbeitet. Bildanalysen funktionieren nicht, weil wir für vieles, was wir sehen, noch keine Regeln haben, die eine KI lernen könnte. Man könnte auch sagen: Die Kunst der Pathologie ist es, durch Sehen, Zählen oder Schätzen gepaart mit unserer Erfahrung zu einem Ergebnis zu kommen, wir sind so etwas wie eine Manufaktur.

?Zusammenarbeit war früher durch den Versand von Proben gekennzeichnet, heute werden Daten verschickt. Wie hat das Ihren Berufsalltag verändert?
So weit sind wir nicht. Während Radiologen schon digital aufnehmen, haben wir nach wie vor unser Präparat auf Objektträgern und das wird erst in einem zweiten Schritt digitalisiert. Zudem ist es in der Radiologie gelungen, ein einheitliches Datenformat zu schaffen. In der Pathologie braucht es unterschiedliche Programme, um Bilder öffnen zu können, je nachdem, woher die Bilder kommen. Es erübrigt sich wohl zu erklären, dass dazu die IT eines Krankenhauses eingebunden sein muss, dass wir die Programme installieren müssen, Virenchecks durchgeführt werden und dass wir keineswegs nur einfach auf „Öffnen“ klicken. Darüber hinaus fehlt auch die Infrastruktur: Pathologen arbeiten mit Farben, die sind ein Multiplikationsfaktor. Ein Objektträger hat etwa die Größe von einem Gigabyte. Eine Brustbefundung kommt mit ca. 50 Objektträgern aus. Und hier spreche ich noch nicht davon, wie lange ich diese Daten aufheben muss.

?Hat die Pathologie ein Nachwuchsproblem?
Erst kürzlich gehörte eine Online-Dokumentation über die Pathologie mehrere Monate zu den Top-Berichten auf der „blauen Seite“. Das zeigt schon das große Interesse! Derzeit geht sich der Nachwuchs auf der Klinik noch aus, wenn man in der Forschung arbeiten kann, ist das ein großer Anreiz. Aber anschließend gehen viele in die niedergelassenen Labore, weil man dort auch besser verdient.  Die Pathology Future Academy der ÖGPath hat sich auch der Nachwuchsförderung verschrieben und bietet eine Reihe von Veranstaltungen zur Fortbildung und Unterstützung der Ausbildung aus allen Bereichen unseres Fachs.  

?Was macht das Fach für Sie spannend?
Nach wie vor das Rätseln, was es sein könnte, die Spurensuche am Objektträger, das Unvorhersehbare, das wir mit jeder Probe vor uns haben. Viele junge Pathologen geben das auch als Hauptgrund an, warum sie sich für das Fach entscheiden. Dazu kommt natürlich auch, dass es ein familienfreundlicher Beruf ist, weil wir keine Nachtdienste haben und eine sehr geregelte Arbeitszeit. Das hat auch den Nachteil, dass wir weniger verdienen als andere Fachbereiche.

?Pathologen sind führend in der Vorsorge von Brustkrebs, Darmkrebs oder Prostatakarzinomen tätig und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zu Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen. Wird das anerkannt, was wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass die Relation zwischen den Kosten einer Vorsorge­untersuchung und den Einsparungen durch spätere, oft sehr teure Therapien anerkannt und berücksichtigt wird. rh

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Prim. Dr. Alexander Nader, MSc, Präsident der Österr. Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie © ZVG
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