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Interview Dozent Univ.-Lektor. Dr. Klein / Universität Wien: Ethik – Welche Fragen digitale Gesundheitsanwendungen aufwerfen

Die Digitalisierung wirft jede Menge Fragen auf. Fest steht, dass der Mensch immer verantwortlich bleibt für das, was Computer tun. Ethische Fragen stellen sich demnach bereits bei der Programmierung, aber ist es damit getan?


Foto: istockphoto/tadamichi

Dozent (PD) Univ.-Lektor Dr. Andreas Klein

Dozent (PD) Univ.-Lektor Dr. Andreas Klein, Universität Wien, Ethik Consulting

Dr. Andreas Klein ist Dozent und Universitätslektor an der Universität Wien und widmet sich unter anderem der Frage der Ethik im Gesundheitswesen. Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) werden grundsätzlich den gleichen ethischen Erörterungen unterzogen, wie sie auch sonst im Gesundheitswesen zur Anwendung kommen.

?Welche ethischen Fragen tun sich bei digitalen Gesundheitsanwendungen auf?
Wir greifen in diesem Kontext häufig auf das Reflexionsmodell der vier moralischen Prinzipien zurück, das sich in der Gesundheitsethik weitgehend etabliert hat, aber auch erweiterungsfähig ist. Dabei handelt es sich um die Prinzipien der Selbstbestimmung/Autonomie, des Nicht-Schadens, des Wohltuens/der Fürsorge und der Gerechtigkeit. Diese Prinzipien müssen jeweils auf konkrete Fälle interpretiert, spezifiziert und gewichtet werden. Auch bei der ethischen Reflexion auf DiGAs müssen diese Prinzipien entsprechend Berücksichtigung finden. Dabei können bestimmte Prinzipien in den Vordergrund, andere in den Hintergrund treten. Dies ist im Einzelnen zu erörtern.

?Das heißt, diese Prinzipien gelten für DiGAs genauso wie für andere medizinische Themen?
Das ist korrekt. Im vorliegenden Fall wird man zusätzlich auf Sicherheitskriterien besonderes Augenmerk legen, die eingehende Testungen im Vorfeld erforderlich machen. Immerhin gilt es, alle Nutzer, aber insbesondere vulnerable Gruppen wie Schwangere, Kinder, ältere Personen oder Menschen, die Gewalt ausgesetzt waren, zu schützen. Hier muss drohender Schaden so weit wie möglich abgewendet werden. Dies betrifft auch künftige Anwendungsoptionen, weshalb mögliche Risiken und Nachteile antizipiert und transparent kommuniziert werden sollten, um bei Bedarf adäquat gegensteuern zu können.
DiGAs sind sehr unterschiedlich in Wirkweise, Nutzungsdauer oder auch Datensicherheit. Dass sie einen hilfreichen Beitrag zur Fürsorge, zur Schadensvermeidung und zur Selbstbestimmung leisten können, liegt auf der Hand. Jedenfalls müssen Nutzen bzw. Vorteile und Risiken transparent und solide eruiert und abgewogen werden. Hierfür werden zumeist schon in Forschungsprojekten an Menschen entsprechende Ethikkommissionen implementiert, um genau diese heiklen Stellen umsichtig zu begutachten. Dies oder eine vergleichbare Überprüfung sollte auf jeden Fall zwingend vorgesehen sein – zumindest dann, wenn das öffentliche Gesundheitswesen hierfür Verantwortung übernimmt. Anders sieht es freilich aus, wenn sich Privatpersonen über Internet oder Smartphone Apps oder andere Anwendungen zunutze machen. Hier wäre dann die jeweilige Verantwortlichkeit eigens zu klären. Ein Spezialfall könnte darin bestehen, dass die genaue Anwendung von DiGAs nicht hinreichend überprüfbar ist. Hier besteht entweder die Möglichkeit, dass Sicherheitsmaßnahmen in DiGAs selbst implementiert werden oder auch eine Verantwortung bei den Nutzern festzumachen ist. Denn immerhin sind auch zahlreiche andere medizinische Therapien in der konkreten Anwendung nicht überprüfbar. Hier hätte man durch digitale Optionen sogar mehr Möglichkeiten der Nachvollziehbarkeit als bei klassischen analogen.
Hinsichtlich des Gerechtigkeitsprinzips würden sich noch zusätzliche Fragen stellen, wie etwa jene nach dem fairen Zugang. Auch eventuelle Haftungs- und Verantwortungsfragen für Betroffene, verschreibende Ärzte oder Produzierende sollten klar geregelt sein.

?Wo sind hier die ethischen Grenzen?
Einige ethisch relevante Grenzen von DiGAs wurden bereits genannt, wie etwa ein Verstoß gegen fairen Zugang, intransparente Prozesse, unklare Verantwortlichkeiten. Rote Linien sind immer dann überschritten, wenn Schaden zu erwarten, zu befürchten ist oder nicht ausgeschlossen werden kann. Hier könnte beispielsweise eine Art Ampelsystem hilfreich sein. Eine kompetente ethische Begleitung in jedem Prozessstadium wäre daher wünschenswert, um rote Linien bereits im Vorfeld zu adressieren und bestmöglich auszuschließen.

?Ist das nicht auch eine Frage des Tempos? Erfolgt die digitale Transformation nicht ohnehin zu langsam?
Will man neue Entwicklungen umsichtig und vertrauensbildend einsetzen und in die Breite bringen, braucht es nun einmal Zeit. Hierfür müssen adäquate Rahmenbedingungen geschaffen und gesellschaftliche Reflexionsprozesse initiiert werden, was allemal zeitintensiv ist. Nicht einsichtig ist es jedoch, wenn gute Entwicklungen aus standespolitischen oder berufsbedingten Interessen heraus ausgebremst werden, wie dies leider in Österreich durchaus der Fall ist. Dies hat uns die Corona-Pandemie deutlich vor Augen geführt: Einerseits war der Druck nach digitalen Optionen derart hoch, dass plötzlich etliche Optionen und Anwendungen quasi ex nihilo zur Verfügung standen. Warum wurden diese Optionen, die offenbar bereits vorhanden waren, nicht schon früher genutzt und umgesetzt? Andererseits sehen wir aktuell ein Zurückfahren dieser Optionen, was völlig unverständlich ist. Mit dem Verweis auf Patientensicherheit allein lässt sich das nicht erklären. Hier stehen massive Eigeninteressen im Vordergrund, die letztlich Patienten um neue Innovationen bringen. Das halte ich teilweise für schlichtweg unverantwortlich, auch deshalb, weil Etliches davon in anderen Ländern längst Usus ist.

?Wie steht es mit der Kostenfrage? Ist die Ökonomie ein Hemmschuh für die Ethik?
DiGAs haben sicherlich, wie etliche andere neuere Entwicklungen auch, das Potenzial, die Gesundheitsversorgung zu bereichern. Dies betrifft auch die Kostenfrage, so dass das Gesundheitssystem auch kosteneffektiv weiterentwickelt werden könnte. Die gesamten Vorteile würden sich ausspannen über den Bereich der Patienten, das ärztliche Personal und die Gesellschaft.

Ökonomie und Ethik haben aber jeweils ihre eigenen Spielregeln, wobei insbesondere im Gesundheitswesen niemals ökonomische Interessen den letzten Ausschlag geben sollten. Im Zentrum steht immer noch das Patientenwohl. Die Kostenfrage ist aber ethisch durchaus relevant, denn hier geht es auch um Gerechtigkeit hinsichtlich berechtigter gesamtgesellschaftlicher Interessen, sodass beispielsweise unnötige Ressourcenverschwendung zu vermeiden ist. Die Ethik unterstützt daher sehr wohl Kosteneffizienz, es muss uns als Gesellschaft aber auch etwas wert sein, bessere Therapieoptionen zu nutzen. Hier müssen entsprechende Balancen ausgemittelt werden. Sollten DiGAs etwa durch Hochpreisigkeit für kleine, finanzschwächere Gruppen unerschwinglich sein, sind entsprechende Maßnahmen zu setzen – zumindest dann, wenn das öffentliche Gesundheitswesen hier Verantwortung zu übernehmen hat. Ein klassischer Kostendämpfer ist aber seit jeher das Konkurrenzverhältnis zwischen Produzenten, das durchaus genutzt werden kann. Dabei sind freilich ethische Erwägungen stets mit zu berücksichtigen.

?Österreich hat tendenziell viele „Entscheidungsträger“. Wer soll die Rahmenbedingungen dafür schaffen, um eine ethische Reflexion für DiGAs sicherzustellen?
Hier ist eindeutig die Politik gefragt, die für gesetzliche Rahmenbedingungen zu sorgen hat. Wie bereits erwähnt, ist es kaum zu begreifen, warum telemedizinische Optionen während der Corona-Pandemie gut funktionierten, mittlerweile aber wieder regredieren. Hier kommen wieder alte Systemmühlen zum Vorschein und systeminterne Bremsfunktionen machen sich bemerkbar. Wenn es uns wirklich um eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung geht, haben diese Befindlichkeiten in den Hintergrund zu treten. Hierzu sollte sich die Politik klar verhalten, tut es aber häufig nicht und überlässt das Feld weitgehend den konkurrierenden Systemplayern. Eine weitere Option wäre, dass sich auch die Bevölkerung stärker für ihre eigenen Anliegen einsetzt und entsprechend Widerstand leistet. Aber auch das ist nur an manchen Punkten - zum Beispiel hinsichtlich der Klimakrise – wahrnehmbar. Der Ethik sind hier insoweit die Hände gebunden, als sie keinerlei Machtbefugnisse in Händen hält, sondern lediglich mit Argumenten und Gründen auf bestimmte Dinge hinweisen, anregen und empfehlen kann. Durchgesetzt werden muss es dann auf der Ebene der Entscheider. Jedenfalls sollten uns aber starke, historisch gewachsene Strukturen nicht permanent bei neuen und guten Entwicklungen behindern. Wie lange musste es beispielsweise dauern, bis endlich etliche Krankenkassen zusammengelegt wurden, obwohl diese Option längst von vielen Seiten als optimal betrachtet wurde. Und auch hier war der Widerstand bekanntlich groß, obwohl das vormalige System dem Gerechtigkeitsprinzip grundlegend entgegenstand.

?Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine ethische Reflexion in der DiGAs-Entwicklung?

Ethische Reflexion sollte während eines gesamten Entwicklungsprozesses erfolgen – in der Projektierung, bei der Programmierung, während der Testung, Ausrollung und Nutzung. Im Idealfall werden kritische Reflexionen vom ersten Moment an berücksichtigt. Ethische Reflexion sollte gemeinschaftlich und interprofessionell erfolgen und anhand von Best Practices überprüft werden. Ethik muss in den Entwicklungsprozess integriert werden, ohne die Verantwortung dafür abzugeben. Bildungseinrichtungen haben bei entsprechenden Forschungen ihre Projekte einer Ethikkommission vorzulegen – was auch für Unternehmen sinnvoll wäre. Ein kritisches Auge sollte für alle Vorstände ein selbstverständlicher Teil der Evaluierung sein. Digitale Apps müssen laufend überprüft werden, sodass nachgebessert werden kann, wo Bedarf besteht. DiGAs sind stets „work in progress“, denn sie sollten je nach Evaluierungsergebnis ergänzt und modifiziert werden – inklusive ethischer Betrachtungen.

?Was wünschen Sie sich für ethische Fragen in der Digitalisierung?
Ich wünsche mir mehr Awareness für ethische Fragen, dass sie begleitend stets in den Köpfen der Verantwortlichen sind und bei Bedarf Experten beigezogen werden. Sobald Unternehmen neue DiGAs konzipieren, muss klar sein, dass es nicht nur strategische, politische, rechtliche oder wirtschaftliche Überlegungen braucht, sondern auch ethische – Ethik sollte verbindlich integriert werden. Ethikkommissionen spielen hierbei eine wichtige Rolle, sind in Österreich aber zum Beispiel an Fachhochschulen weitgehend noch ausständig – mit Ausnahme der FH Campus Wien. Auch hier regiert oft die Kostenfrage. Für einen besseren Outcome und zur Qualitätssicherung wäre eine selbstverständliche Betrachtung ethischer Gesichtspunkte nötig, damit Patienten und ihr Wohl tatsächlich im Fokus stehen. bw


Oberarzt (m/w/d) für Innere Medizin

Rehabilitationszentrum Bad Aussee / Pensionsversicherungsanstalt; 8990 Bad Aussee

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ÄRZTIN/ARZT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN

Herz-Kreislauf-Zentrum Groß Gerungs; 3920 Groß Gerungs

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Leitende Oberärztin / Leitender Oberarzt für die Intensivstation (m/w/d)

St. Anna Kinderspital GmbH; 1090 Wien

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Fachärzt*innen für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin (w/m/d) mit besonderem Interesse an der Gerontopsychiatrie

Kuratorium für Psychosoziale Dienste Wien / Gerontopsychiatrisches Zentrum (GPZ); 1030 Wien

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